
Selbstbestimmung leicht gemacht – Warum ein neues Gesetz Leben verändert
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans*, inter* und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Namen unkompliziert per Selbsterklärung zu ändern. Ein großer Schritt für das Recht, über die eigene Identität selbst zu bestimmen.
Erik Schinegger stand vor dem Standesamt und atmete tief durch. Es war ein Moment, den er sich sein Leben lang gewünscht hatte – die einfache Möglichkeit, selbst über seinen Geschlechtseintrag zu bestimmen. Ohne Gerichtsverfahren, ohne psychologische Gutachten, ohne dass jemand anderes über seine Identität entschied.
Erik war einst als Erika Schinegger bekannt, eine gefeierte Skifahrerin, die 1966 sogar Weltmeisterin im Abfahrtslauf wurde. Doch als sich Jahre später herausstellte, dass er biologisch ein Mann war, stand sein Leben Kopf. Der Weg zur offiziellen Anerkennung seiner Identität war damals steinig und voller Hindernisse. Er musste sich operieren lassen, zahlreiche bürokratische Hürden überwinden und sich erst gesellschaftlich wie auch rechtlich neu definieren. Wäre das Selbstbestimmungsgesetz damals schon in Kraft gewesen, hätte Erik diesen Weg deutlich leichter gehen können.
Was ist das Selbstbestimmungsgesetz?
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das alte Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 – ein Gesetz, das längst überholt war. Früher mussten trans*, inter* und nicht-binäre Menschen vor Gericht ziehen, zwei psychologische Gutachten einholen und sich einem oft entwürdigenden Verfahren unterziehen, um ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Das war teuer, langwierig und für viele Betroffene eine enorme Belastung.
Jetzt ist es einfacher: Wer seinen Geschlechtseintrag oder Vornamen ändern möchte, kann das ab sofort mit einer Selbsterklärung beim Standesamt tun. Ohne Richter, ohne Gutachten, ohne entwürdigende Fragen. In der Schweiz gibt es ein ähnliches Verfahren bereits seit 2022. Hierbei handelt es sich um das sogenannte Verfahren zur «Geschlechtserklärung», wodurch eine unbürokratische Änderung direkt vor dem Zivilstandesamt ermöglicht wird.
Warum ist das so wichtig?
Für Menschen wie Erik Schinegger hätte diese Änderung vor allem eines bedeutet: Würde und Selbstbestimmung. Niemand ausser ihm selbst kann wissen, wer er ist. Wer auch nur annähernd eine Ahnung davon bekommen möchte, welche Anstrengungen und seelischen Herausforderungen so ein Identitätswechsel mit sich bringt, dem sei der Film Erik und Erika aus dem Jahr 2018 empfohlen. Darin spiegelt sich, wenn auch nur ansatzweise, der demütigende Weg zu mehr Selbstbestimmung wider.
Mit dem neuen Gesetz gehen die Schweiz und weitere 20 Staaten wie beispielsweise Deutschland, Finnland oder Pakistan einen grossen Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Es nimmt den Menschen eine Hürde zu einem würdevollen selbstbestimmten Leben. Und es zeigt: Wir vertrauen darauf, dass jeder Mensch am besten weiss, wer er ist.
Aber was ist mit Missbrauch?
Natürlich gab es Kritik an der Reform. Manche befürchten, dass das Gesetz ausgenutzt werden könnte. Was, wenn jemand seinen Geschlechtseintrag nur zum Spass ändert? Oder um sich Vorteile zu erschleichen? Die Antwort darauf ist einfach: Das Gesetz enthält eine Sperrfrist von einem Jahr für erneute Änderungen. Wer also seinen Geschlechtseintrag ändern lässt, sollte sich sicher sein. Zudem zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern wie beispielsweise Irland, die eine ähnliche Regelung bereits 2015 einführten, dass Missbrauch extrem selten ist.
Ein grosser Schritt für die Selbstbestimmung
Für Erik Schinegger war der Weg damals lang und voller Herausforderungen. Doch das Selbstbestimmungsgesetz macht diesen Prozess für heutige Generationen um ein Vielfaches einfacher. Für die Änderung des Vornamens ist in der Schweiz die Verwaltung des Kantons zuständig. Für ein neues amtliches Geschlecht hingegen das Zivilstandsamt. Als offizielles Geschlecht kann man bislang in der Schweiz nur «weiblich» oder «männlich» eintragen lassen, ein anderes oder kein Geschlecht zu haben, ist noch nicht möglich. Unnötige zusätzliche Hürden wie ärztliche Gutachten und der Weg über das Gericht entfallen. Das entlastet von der Übergriffigkeit, als noch fremde Personen über das individuelle Wohl geurteilt haben.
Das Selbstbestimmungsgesetz ist mehr als nur eine bürokratische Vereinfachung. Es ist ein Zeichen für Anerkennung, Respekt und Inklusion. Und vor allem zeigt es: In vielen Ländern auch ausserhalb Europas geht es voran – hin zu mehr Selbstbestimmung und Menschenwürde für alle.
Mauern fallen zuerst in den Köpfen
Erik hat einst hart dafür gekämpft, um Mauern zu Fall zu bringen. Menschen wie Erik ist es zu verdanken, dass Gesellschaften sich verändern und ein lebenswertes Leben in Freiheit und Würde für alle Menschen gleichermassen möglich ist, und damit eines der Grundrechte verteidigt wird, auf das sich unsere Gesellschaft stützt.
Quellen:
https://www.tgns.ch/wp-content/uploads/2022/05/22-05-03_Brosch._TRANS_D_Inhalt_2022.pdf
https://www.nzz.ch/international/selbstbestimmungsgesetz-in-deutschland-2024-was-gilt-jetzt-ld.1841722
https://rm.coe.int/thematic-report-on-legal-gender-recognition-in-europe-2022/1680a729b3
https://en.wikipedia.org/wiki/Gender_self-identification#cite_note-GR_report_2022_council-13
https://ilga.org/wp-content/uploads/2024/05/ILGA_World_Trans_Legal_Mapping_Report_2019_EN.pdf